Dienstag, 14. März 2017

Gruppenlektüre: Auftrag

Gruppenvorträge
Klasse g2g – Frühjahr 2017
Lüscher – Zeh – Erpenbeck – Melle – Bärfuss – Geiger (2) – Kracht

Auftrag

1. den Roman in selbstgewählten Lesepensen lesen und diskutieren; eine Reihe von Textstellen auswählen, die inhaltlich oder sprachlich repräsentativ, wichtig oder interessant sind

2. Quellen heranziehen, v.a. Rezensionen, Interviews, Portraits, die beim Verständnis helfen, z.B. worum es dem Autor resp. der Autorin beim Schreiben ging oder geht oder wie sich der Roman in ihr bisheriges Werk einordnen lässt

3. überlegen, wie man den Roman der Klasse vorstellt: Inhalt, Textstellen und Vorgehen des Vortrags bestimmen, z.B.
- Vortragsweise: z.B. szenisches Lesen, alleine oder zu zweit vortragen oder vorlesen (üben!)
- Medieneinsatz: Beamer, Wandtafel oder beides, Umgang mit Handout
- Abfolge: z.B. Wechsel zwischen. Vortrag und Arbeit mit der Klasse oder en bloc
- wie die Klasse einbezogen werden soll
- will man sie still oder laut lesen lassen
- will man sie in Gruppen oder im Plenum diskutieren lassen
- Fragestellungen zu Textstellen oder darauf aufbauend
- analytische, ästhetische, philosophische, persönliche Fragen

Ziele 

1. Eindruck vermitteln,:was hat der Roman inhaltlich zu bieten (Handlung, Themen) & formal (Sprache, Ästhetik)?
 Welches Erzähl- & Gedankenuniversum eröffnet er auf diesen beiden Ebenen?

2. den Roman den anderen näherbringen, schmackhaft machen, kritisch reflektieren (Stärken, Schwächen)

    3. Klasse einbeziehen: Einzelne Textstellen (selber eine Interpretation vorbereiten!), Themen oder Fragestellungen des Textes diskutieren

    Was steht im Zentrum der Lektion?

    Textausschnitte (Handout oder Beamer)
    1. anhand von Fragestellungen mit der Klasse besprechen
    2. um etwas exemplarisch aufzuzeigen
    - Sprache, sound, Wirkung (Erzählerstimme oder Figurenrede, Milieu, Charaktere)
    - zentrale Inhalte, Fragestellungen, Weltbeschreibungen oder andere Wesensmerkmale des Romans

    Wie fängt der Vortrag an? Wie endet er?

    Zuerst: ein oder zwei Zitate oder Textausschnitte (am Beamer und/oder vorgelesen) oder eine Zusammenfassung resp. ein Überblick in 1 Satz und auch in 3 Sätzen.
    Zuletzt: Ihr persönlicher Eindruck des Romans. Gut vorbereiten, am besten spricht nur eine(r) für die ganze Gruppe (evtl. als Szene?).

    weitere Aspekte

    - Autorin/Autor: paar Infos zu Werk und Wirkung, personality, Alter, Herkunft (Land & Studium), vor allem wesentliche Aussagen zu dem Roman, um den es geht (evtl. seinem Schreiben generell)
    - Jede(r) in der Gruppe sollte die jeweiligen Inhalte der anderen kennen, damit Sie einander helfen & sich ergänzen können. Sie sind alle für einander verantwortlich. (wie ein Sportteam)
    - möglichst frei sprechen & auf Ihre Gruppe vertrauen, dass man einander unterstützt (Blickkontakt suchen mit Gruppe & Klasse)
    - betrachten Sie es als Übung, ad hoc zu formulieren und dennoch möglichst präzise zu sein
    Stichworte auf Vortragszettel nur (große Schrift)
    - Keine Angst vor Blackouts. Vortragszettel + Geistesgegenwart
    - Rechtschreibung checken: betrifft alles Schriftliche (Handout, Beamer) 
    - Layout übersichtlich & leserfreundlich (Schriftgröße, Zeilenabstand)
    - Seiten- und Verlagsangaben 
    - Richtlinie des eigenen Gefühls: gehen Sie mit gutem Beispiel voran und versuchen Sie die Lektion so zu gestalten, wie Sie es sich von den anderen Vorträgen wünschen.

    Montag, 6. März 2017

    Anmerkungen über Kleists Werk und Leben aus der Übersicht

    Was erzählt uns Kleist über die Welt?Was ist anders, neu und modern an seinen Figuren und deren Welt?

    Mit Anfang 20 vertraute der Offizierssohn Kleist noch auf Selbstbestimmung und die Wirkung aufklärerischer Pädagogik. Er traktierte seine Freundin und seit 1800 Verlobte mit Denkaufgaben, pädagogischen Programmen und erzieherischen Verhören.
    Aufgeklärter Optimismus: Über die Lebenshaltung eines »freien denkenden Menschen« sagte er 1799 (immerhin bereits nach seinem Abschied aus dem Militär):
    »Er bestimmt nach seiner Vernunft, welches Glück für ihn das höchste sei, er entwirft sich einen Lebensplan und strebt seinen Ziele nach sicher aufgestellten Grundsätzen mit all seinen Kräften entgegen. […] Solange ein Mensch noch nicht im Stande ist, sich selbst einen Lebensplan zu bilden, so lange ist und bleibt er unmündig.«
    Die sogenannte ›Kantkrise‹: Sein festes Weltbild weicht 1801 der Desillusionierung, nachdem er philosophische Texte des zeitgenössischen Philosophen Immanuel Kant gelesen hat – und sie zu einem gewissen Grad missversteht:
    »Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzutut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört.«
    »Seit diese Überzeugung, nämlich, daß hinieden keine Wahrheit zu finden ist, vor meine Seele trat, habe ich nicht wieder ein Buch angerührt.«

    Was Kant zur menschlichen Erkennungsfähigkeit im Allgemeinen meinte, versteht Kleist als individuelles Los: Die Wahrheit ist uns nicht zugänglich, wir konstruieren uns stattdessen eine eigene Ersatzwahrheit kraft unseres analytischen und definitorischen Vermögens.  
    Der Aufenthalt im postrevolutionären Paris vermittelt ihm zusätzlich den Eindruck einer allgemeinen Krise der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung.

    Die Folge: 1802 wird die Verlobung gelöst. Kleist beginnt zu schreiben, führt ein unstetes Leben, reist viel umher, oft planlos (evtl. als Spion), die Details finden Sie in Ihrer Suhrkamp-Ausgabe auf den Seiten 121ff.
    Sein Werk kommt bei den Zeitgenossen nicht an.

    1811 folgt der lange geplante Doppelselbstmord zusammen mit der schwerkranken Henriette Vogel. Kleist in seinem Abschiedsbrief an seine geliebte Schwester: 
    »Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war.« 

    Werk

    • irritierend und schwierig
    • reflektiert die politischen und sozialen Krisenerscheinungen der Zeit
    • Die Geschichten gleichen Versuchsanordnungen, in denen die Menschen und ihre Verhaltensweise auf die Probe gestellt werden.
    • Ambivalenz von Familie, Staat, Recht und Gerechtigkeit
    • Menschliche Gefühle und Leidenschaften, ihre Verwirrungen und die daraus resultierenden Verstrickungen
    • Gegensätze von Gesetz vs. Freiheit und von Disziplin vs. schöpferischer Spontaneität
    • Scheinreligiösität der brutalen und selbstgerechten Bevölkerung: Die Bestialität der Menschen: sie sind zu allem fähig, wenn man ihnen einen Grund gibt und sie aufhetzt.
    • Gerechtigkeit und Harmonie (wie bei Schiller und Goethe, den Hauptvertretern des zeitgenössischen ›Idealismus‹) herrschen nur vermeintlich, nicht wirklich: Hier scheint Rettung von oben durch einen gerechten Lenker zu kommen, doch zuletzt war sie umsonst. Die Himmel sind leer (Zitat aus Brechts Galilei), auch wenn der Mensch sich nach Gott und einem Sinn fürs Dasein sehnt.
    • aber immerhin: ein Mensch ist über sich hinausgewachsen, Don Fernando hat selbstlos die beiden Opferlämmer verteidigt und mit dem eigenen Sohn bezahlt und zieht nun einen fremden Sohn groß.
    • Gegen diese Welt schreibt Kleist an und er generiert Geschichten, in denen der Einzelne einen Selbstbewusst-seinsschub erfährt, ein Zusichkommen, ein Fürsicheinstehen.
    Die Marquise von O…
    Adelsdünkel und Kadavergehorsam statt Familiensinn: Was nicht sein darf, wird ausgeschlossen und beseitigt. Die Tochter muss gehen, als das kontingente Reale in die Welt einbricht, und zwar in Form der Vergewaltigung während einer Ohnmacht, die in einer Schwangerschaft resultiert. Obwohl sie nichts dafür kann, wird sie sich selbst und ihrem Schicksal überlassen. Nur sehr viele glückliche Umstände bewirken ein Umschlagen ihres Schicksals zu ihrem Glück, das dadurch kitschig und fragwürdig wirkt.
    Die Geschichte legt die moralische Verworfenheit der Menschen bloß: Sie halten sich für gerecht, lassen aber jemanden Geliebtes fallen.
    Der Einzelne ist ein Opfer seiner Umgebung und Epoche, ihren Sitten und Gebräuchen, seines gesellschaftlichen Status/Standes und seiner egozentrischen Kleingeistigkeit.

    So auch in Das Erdbeben in Chili
    Scheinreligiösität der brutalen und selbstgerechten Bevölkerung und die Bestialität der Menschen: sie sind zu allem fähig, wenn man ihnen einen Grund gibt und sie aufhetzt.
    Gerechtigkeit und Harmonie (wie im ›Idealismus‹ der Zeitgenossen Goethe und Schiller) herrschen nur vermeintlich, nicht wirklich: Rettung scheint durch das Erdbeben von einem gerechten Lenker zu kommen, doch zuletzt war sie umsonst.
    Die Himmel sind leer (Brecht), auch wenn der Mensch sich nach Gott und einem Sinn fürs Dasein sehnt
    aber immerhin: ein Mensch ist über sich hinausgewachsen, Don Fernando hat selbstlos die beiden Opferlämmer verteidigt und mit dem eigenen Sohn bezahlt und zieht nun einen fremden Sohn groß.
    Gegen diese Welt schreibt Kleist an und er generiert Geschichten, in denen der Einzelne einen Selbstbewusstseinsschub erfährt, er kommt zu sich, steht für sich ein. 
    So bleibt dem einzelnen Individuum als einzige relevante Größe und Konstante das Vertrauen auf sich selbst: das mir innewohnende Gefühl (und nicht äußere Gesetze und Normen)



    Auf den Seiten 121ff. Ihrer Suhrkamp-Ausgabe finden Sie einen Überblick mit Jahreszahlen

    Biographie


    Längerer Eintrag zu seinem Leben


    Zeitdokument zu seinem Suizid