Mittwoch, 11. November 2015

Ludwigs letzter Tagebucheintrag

Als ich Johann und Vera in der Werkstatt sah, fühlte es sich an, als wenn all unsere Pläne wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzten (ein Kartenhaus aus all unseren Plänen in sich zusammenstürzt). Sie sassen neben der Triumph, streichelten den Kater und dann – der Moment, der alles einstürzen ließ (und dann, der Moment der alles einstürzen liess).

Wir hatten alles geplant. Wir würden nach Asien gehen und unseren Turm bauen, und nichts würde uns trennen können, weil wir Zwillinge sind. Ist es nicht so, dass sich Zwillinge alles erzählen? Wieso hat er mir nicht von seinem Verhältnis mit Vera erzählt? Hätte er es mir sein ganzes Leben verschwiegen? Er hatte versprochen, dass wir Zwillinge sein würden.

Ich muss etwas unternehmen. Ich muss dafür sorgen, dass uns nichts mehr trennen kann. Johann und ich müssen für immer aneinander gebunden sein. Es gibt nur einen Weg. Ich muss es tun. Für Johann. Für uns. 

Letzter Tagebucheintrag von Ludwig

Ich muss es machen. Es gibt keinen anderen Ausweg. Er wird es verstehen, er wird mir sogar dankbar sein, dass ich es durchgezogen habe (durchziehen werde), denn ich bin mir sicher, dass auch er es so will. Ich werde uns für die Ewigkeit vereinen, es wird nur noch uns geben. Auch wenn es uns dann nur noch als Seelen geben wird, als eine Seele, wird alles besser sein. Nur so kann ich es schaffen, dass wir zusammenbleiben. Es darf nur noch uns beide geben. Niemand anderes! Es wird perfekt sein, wenn wir beide als Brüder, nein, als Zwillinge mit der Triumph sterben werden, mit der Triumph, welche wir zusammen restauriert haben. Gibt es eine bessere Art zu sterben? Wobei ich das nicht als Sterben sehe, sondern als Vollendung der Herstellung unserer Gleichheit. Wir werden richtige Zwillinge.


Von Fabiano und Stavros


Dialog; Beichte

Ich musste es Ludwig erzählen, bevor wir losfuhren. Er hatte die Fahrprüfung bestanden. Er war gut gelaunt, das sah man ihm an. Das war die Gelegenheit.
Ich erzählte ihm von dem Tag an, an welchem ich Vera weinend in der Werkstatt antraf. Ich erzählte ihm auch, dass wir uns lieben würden und wir immer im Wald bei der Brücke miteinander geschlafen hatten. Ausserdem auch, dass ich Vera zu mir nach Hause einladen wolle.
Ludwig blieb lange Zeit still. Dann sagte er, dass er es gewusst hatte. Er hatte den Schrei gehört, von damals, als Vera und ich zum ersten Mal die Nacht miteinander verbracht hatten und sie mir in den Hals gebissen hatte. Er dachte, dass wieder einer gesprungen sei und er deshalb nachgeschaut hatte. Dann hatte er uns gesehen. Weshalb hatte er mich nie darauf angesprochen (sprach er mich nie darauf an)? Ludwig blieb mir die Antwort schuldig.
Wie konntest du nur? Das war das nächste, was ich nach einer langen, unerträglichen Stille hörte. Und es war eine gute Frage. Ich denke, die Antwort war Liebe. Und die zu Vera war irgendwie grösser als die brüderliche zu Ludwig gewesen. Obwohl wir Zwillinge waren. Ich versuchte ihm zu erklären, dass man in diesen Augenblicken kaum denken konnte. Er hatte dasselbe ja schon mit Josephine erlebt. Ausserdem sei es ja auch irgendwie natürlich mit Mädchen zu schlafen.
Ich wusste nicht mehr, was ich versuchte zu erreichen. Vielleicht, dass er versuchte meine Gefühle und Gedanken nachzuvollziehen. Schliesslich waren wir ja Zwillinge und wir dachten ja immer dasselbe, oder?
Ludwig schwieg. Es war ein unangenehmes Schweigen. Nach einiger Zeit meinte er, als sei nichts gewesen, ich solle ihm mit dem Helmverschluss helfen (den Helm zumachen) und mir auch einen aufsetzen. Er schob die Triumph auf die Strasse hinaus und ich setze mich auf Ludwigs Geheiss hinter ihn. Die Triumph sprang auf den ersten Tritt an.


Nico & Paula

Tagebucheintrag von Ludwig: Das Zwillingsgelübde

Wie konnte das passieren (wir dazu führen), dass wir verlieren? Zwei Mal. Die beiden verdammten Brüder: Zwillinge, dazu noch eineiige. Keine Chance gegen sie (≠ mit ihnen) zu gewinnen. Da kam mir der Gedanke, dass Johann und ich richtige Zwillinge werden müssten. Die (alles) das Gleiche machen, die gleichen Gedanken haben. 

Letzten Abend wollte ich auf die Brücke. Es war dunkel und ruhig. Ich wusste nicht genau, was mein Plan war, besser gesagt, ich hatte keinen. Johann war nicht begeistert. Deshalb stieg ich auf den Zaun - ich wollte ihm etwas zeigen, beweisen. Ich fokussierte mich auf ein Licht, um nicht herunterzufallen. Dann plötzlich fragte ich ihn, ob er auch springen würde. Er sah sehr bestürzt aus. Aber ich wollte es wissen, es war die einzige Möglichkeit, wir mussten einfach dasselbe fühlen. Auf einmal wurde mir heiss und ich drängte ihn zu einer Anwort: entweder er will es oder nicht. Ich spring hinunter und schrie ihn an. (?) In mir kochte alles, wieso konnte er das nicht verstehen? Alles musste ich ihm klar machen. Dann begriff Johann, er sagte mir, dass er das auch wolle. Jetzt, nach unserem Gelübde soll es anders sein als vorher, wir werden noch mehr Zeit miteinander verbringen, gegen die Potsdamer Zwillingbrüder gewinnen. Jetzt werden wir uns näher kommen.

Tagebuch- Das Zwillingsgelübde

Niederlage! Noch eine Niederlage; eine weitere Desillusion. Das irritierte mich zutiefst. Ob die Schuld bei mir liegt oder bei Johann, weiss ich nicht genau. Voller Resignation bückte ich mich sogar über den Zaun der Brücke und kam auf absurde Gedanken. In einem Moment konnte ich mir vorstellen Suizid zu begehen. Es kam zu einer Kollision der Emotionen und Fakten in meinem Herz und meinem Kopf. Ich wusste, er würde nie das gleiche für mich empfinden. Ich wusste, Johann würde mich nie auf die Art lieben wie ich ihn. Doch er war immer da! Ich entschied mich unsere heutige Niederlage auszunutzen und ihn zu manipulieren um uns für immer aneinander zu binden. Ich redete ihm ein, wir hätten verloren, weil wir keine starke Bindung hätten. Wir waren von Zwillingen besiegt worden: so kam ich auf die Idee der Brüderschaft. Brüder bleiben für immer Brüder, egal was passiert. Mit solch einer Beziehung werde ich mit ihm für immer verknüpft sein. Das beruhigt mich. Ich schaffte es, ihn davon zu überzeugen, mir alles zu erzählen, möglichst viel Zeit mit mir zu verbringen und sogar die gleichen Kleider wie ich zu tragen. Die Kleider würden mir immer das Gefühl geben, er wäre bei mir (den Eindruck seiner Präsenz geben). Er wirkte sehr glücklich darüber.
Das kann man egoistisch nennen, doch es entspricht meinen Bedürfnissen (≠ ich nenne es Bedürfnis). Ich brauche Johanns Nähe und mir ist jedes Mittel recht (ich werde die Mittel nicht wählen) um ihn auf irgendeine Art nur für mich zu gewinnen.

Zitate (II) und Diskussionsstoff

I. austauschen, philosophieren, erinnern 

Die folgenden Zitate könnte man als Beleg für die These nehmen, dass die Novelle mehr bietet als bloße Unterhaltung oder eine Geschichte. Es sind Stellen, die ein Thema anreißen und gleichzeitig etwas offen lassen. Sie zu überlesen, wäre schade, auch wenn man die Geschichte auch ohne sie verstehen würde.


1. Schweigen

»Ich bin mittlerweile in der Lage zu schweigen, was mir lange unmöglich war, weshalb ich dazu neigte, die intimsten oder dümmsten Geschichten zu erzählen, nur um etwas zu sagen.« (20)


2. Abschied von der Kindheit

»[…] und doch glaube ich, dass in jenem Sommer erste Zweifel aufkamen, ob der Hauptzweck im Leben das Spielen ist.« (24)
Abschied von der Kindheit mit 12 Jahren? haben Sie Ihren Abschied bewusst wahrgenommen? Wissen Sie noch, in welchem Zusammenhang das Ihnen bewusst wurde?


3. schön und hässlich

»Als Kind hat man nur für die Hässlichkeit ein ausgeprägtes Gefühl, nicht für Schönheit.« (26)
Stimmt das? Erinnern Sie sich an das eine oder das andere?


4. Mutproben

»Das ist zu gefährlich, sagte ich. […] Ich wusste, wie enttäuscht er war. Ich hatte viele Telefonnummern, sagte Ludwig nach eine Weile. Ich hab aber dich angerufen.« (27)
Erinnern Sie sich an vergleichbare Mutproben und die genauen Umstände?

a. Tauschen Sie sich dazu aus.
b. Schreiben Sie eine kleinen Text im Präsens zu einer konkreten Erinnerung, der das Vergangene jetzig erscheinen lässt, so als würde es gerade ereignen. Erfinden Sie dazu oder thematisieren Sie den Erinnerungsprozess im Stile eines reflektierenden Erzählers.


5. Namen

»Lisbeth klang für uns nach einem Leben, das sich nicht lohnte, klang nach Krankheit und Tod.« (34)
Haben Sie ähnliche Assoziationen mit gewissen Namen? Sind Sie zufrieden mit Ihrem eigenen Namen? Würden Sie sich einen anderen geben, wenn Sie könnten? Welche gefallen Ihnen und warum? Assoziieren Sie damit etwas, das Sie benennen können?


6. Beeindruckendes / Tod

»Niemals zuvor hatte mich etwas so beeindruckt wie jene selbstverständliche Geste, mit der er dem Mädchen die Augenlider schloss. […] Ich war in einem Alter, in dem der Tod die große Angst ist, aber nicht der eigene, der kommt einem unmöglich vor.« (34)

Hat Sie auch einmal jemand Gleichaltriges so beeindruckt? In welchem Zusammenhang?


7. Ihr Erstes Mal mit Josefine

»Ich kann nur sagen, dass es eine schöne Erfahrung ist, wenn man weiß, dass genau in diesem Moment in nächster Nähe der beste Freund etwas lang Ersehntes erreicht.« (41)
»Merkwürdigerweise wirkte er ernst. Er beachtete uns nicht, ging schweigend durch die Wohnküche und dann hinaus.« (44)
»Er kam nicht. Weit nach Mitternacht fuhr ich nach Hause.« (46)

Was ist passiert? Tauschen Sie sich über Ihre Vermutungen aus. Gibt es vielleicht weiter hinten im Text weitere Stellen, die Ihnen in diesem Zusammenhang aufschlussreich erscheinen?


8. Unsicherheit

»Jede neue Jacke, die ein anderer trug, warf die Frage auf, ob damit nicht alle anderen Jacken, die man selbst hatte, erledigt waren, ob man nicht sofort auch diese Jacke haben müsse.« (49)

Können Sie diese Regung nachvollziehen? Tauschen Sie Beispiele aus eigener Erfahrung aus.
Der gesamte obere Abschnitt auf S. 49 könnte herangezogen werden, sofern Sie in der Gruppe offen genug zueinander sein können :)


9. Gerüche

»[…] und dieser Geruch von Tränen, der ja kein schöner Geruch ist und trotzdem einer, den ich immer gern gerochen habe, außerdem Motorräder, ein Ölfass.« (63)


II. Der Erzähler Johann

»Seit vielen Jahren sind das übrigens oft Gedanken an Ludwig.« (21)

Letzer Tagebucheintrag von Ludwig

Nur so kann ich verhindern, dass Johann und ich zusammenbleiben. Wir sind Brüder. Nein, wir sind Zwillinge. Wir haben geschworen für immer zusammenzubleiben und wenn das die einzige Lösung ist, dann soll es so sein. Nichts konnte uns somit trennen. Nicht seine Mutter, nicht Josefine, nicht Marco und auch nicht Vera. Wie konnte er mir nur in den Rücken fallen? War ich nicht gut genug für ihn?

Zuerst dachte ich, ich hätte mir die Affäre nur eingebildet, doch ich lag falsch. Hat er vor, die Beziehung zwischen ihm und Vera für immer zu verheimlichen? Glaubt er wirklich, dass ich es nie bemerken würde? Ich sah sie in der Werkstatt. Dort, wo wir am meisten Zeit zusammen verbracht haben. Zuerst umarmten sie sich und dann… Ich möchte gar nicht dran denken.

Ich kann nicht zulassen, dass jemand uns trennt. Wir sind eine Seele. Eine Seele kann man nicht trennen. Er wird es verstehen. Ich bin mir sicher, dass er es verstehen wird. Er wird mir sogar dankbar sein. Wir werden unseren eigenen Turm bauen können. Zusammen. Ohne Einfluss anderer Menschen.

„Die Triumph“ ist der Beginn von unserem Triumph.