Dienstag, 10. November 2015

Letzter Tagebucheintrag von Ludwig

25.9.

Zuerst war es nur eine Vermutung, ein unangenehmes Gefühl. Ich wollte es nicht wahrhaben und versuchte erfolglos die Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen, doch es ging nicht. Es liess mich nicht los. Die Vorstellung, dass Johann Gefühle haben könnte für jemanden anderes als mich. Keine freundschaftlichen Gefühle. Die Vorstellung, dass jemand zweites, ein Mädchen, in seinem Leben einen wertvollen Platz einnehmen konnte, zerriss mich, doch als ich es sah, als ich sie sah, fühlte es sich an, als würden all die zerrissenen Stücke sich in Luft auflösen. Es war, als wäre ich leblos. Ein Mensch den ich kannte seit seiner Geburt. Sie ist mit mir aufgewachsen. Wir schlafen unter demselben Dach und essen am selben Tisch. Warum Vera?!

Ich fühle mich verraten. Auch von Johann. Er ist doch mein Bruder und sie meine Schwester. Ich ertrag es nicht. Warum hat er es mir nicht ins Gesicht gesagt? 
Es war an dem Abend an dem Johann und ich triumphierend von unserem Turm schwärmten und ich mit erfülltem Gewissen ins Bett ging. Doch ich hörte etwas. Es war kein dumpfes Aufprallen eines menschlichen Körpers, es war kein schnurrender öliger Kater und auch keine Lastwagenreihe von 9 Lastwagen, was ein neuer Rekord bedeuten würde. Es war ein kurzes Klirren. Sofort kam mir der Gedanke, dass jemand an der Triumph ist. Ich war zu unruhig um zu schlafen, da dieses Geräusch in meinem Kopf weiterhallte, als wollte es mich locken nach zu schauen. Ich schlich also in die Garage und was dann passierte wage ich kaum hier auf zu schreiben. Ich traute meinen eigenen Augen nicht. Vera sass auf Johanns Schoss neben der Triumph und sie streichelten beide unseren Kater. Die Blicke die sie teilten, waren die, die ich mir von Johann zu lange gewünscht habe. Ich ertrage diesen Anblick nicht. Ich ertrug die ganze Situation von dieser einen Sekunde an nicht mehr. So sehe ich nur einen Ausweg aus dieser unerträglichen Situation:
Den Weg, wie Johann und ich für immer aneinander gebunden sein werden. 

Morgen ist die Fahrprüfung. Gleich danach werde ich mit Johann auf unserer mit harter Arbeit reparierten Triumph, die schönste, erste und letzte Fahrt mit ihm verbringen.

Minh Trung, Kim

1 Kommentar:

  1. Die Leidenschaft von Ludwigs Gefühlen setzen Sie sehr eindrücklich um. Wiederholungen, ein gutes Gefühl für Rhythmus im Satzbau oder auch die eingeschobenen Fragen spiegeln seine Gefühlslage, seine Verzweiflung.

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